Gesundheitliche Härte ohne fachärztliches Attest

Árpád Farkas, Anwalt für Immobilienrecht

Der Vermieter von Wohnraum hat einige Hürden zu überwinden, bevor er durch Kündigung wieder in den Besitz der Wohnung gelangen kann. Neben dem Vorliegen eines Kündigungsgrunds sowie der Erfüllung formeller Anforderungen an die Kündigung droht immer wieder auch der Widerspruch des Mieters, dass die Kündigung für ihn, seine Familie oder Angehörige eine unzumutbare Härte darstellen würde. Mit Urteil vom 16.04.2025 (VIII ZR 270/22) hatte der Bundesgerichtshof (BGH) über eine Eigenbedarfskündigung zu entscheiden, gegen die sich der Mieter durch Widerspruch wehrte und dabei zum Nachweis der unzumutbaren Härte ein Attest vorlegte, das nicht von einem Facharzt unterschrieben war. Der Bundesgerichtshof musste nun beurteilen, ob ein solcher Nachweis ausreichend ist oder nicht.

Der Fall:
Der Kläger vermietete an den Beklagten eine Wohnung in Berlin und erklärte wegen Eigenbedarfs die Kündigung zum 31.01.2021. Im weiteren Verlauf des Gerichtsverfahrens blieb der Eigenbedarfsgrund unstreitig, genauso wie die Wirksamkeit der ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung.

Allerdings widersprach der Mieter der Kündigung unter Vorlage einer „Stellungnahme über Psychotherapie“ seines – sich als Psychoanalytiker bezeichnenden – Behandlers. In dieser Stellungnahme, in deren Briefkopf die Tätigkeitsfelder des Behandlers unter anderem als „Psychoanalyse“ und „Psychotherapie (HPG)“ bezeichnet sind, heißt es im Wesentlichen, dass seit Mitte Oktober 2020 regelmäßig einmal wöchentlich psychotherapeutische Sitzungen mit dem Mieter stattfänden. Dieser leide an einer akuten Depression und emotionaler Instabilität, verbunden mit Existenzängsten, die ihn zeitweise arbeitsunfähig machten. Ein Umzug führe mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer deutlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes.

Sowohl das Amtsgericht wie auch das in der Berufungsinstanz befasste Landgericht gaben der Räumungsklage des Vermieters statt, weil sie der Auffassung waren, dass die unzumutbare Härte in Form einer gesundheitlichen Beeinträchtigung des Mieters nicht hinreichend vorgetragen bzw. nachgewiesen worden sei. Daran änderte jedenfalls in der Instanz vor dem Landgericht auch nicht die weitere Vorlage einer Stellungnahme des Behandlers, in der es unter anderem hieß, dass für den Mieter Suizidgedanken der einzige Ausweg in den regelmäßigen Episoden seiner manischen Depression seien. Die Behandlung stehe am Beginn eines langen Gesundungsprozesses. Ein Verlust seines Lebensmittelpunktes könnte mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verzweiflungstat führen, die gegebenenfalls in einem Suizid enden könne.

Diesen Rechtsbewertungen von Amts- und Landgericht wollte sich der Bundesgerichtshof nicht anschließen.

Die Gründe:
Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichts auf und verwies die Sache zurück an das Berufungsgericht, um die für die gebotene Gesamtwürdigung des Sachvortrags des Mieters erforderlichen Feststellungen zu treffen.

Nach Auffassung des BGH hätte das Landgericht nicht darauf bestehen dürfen, dass der Mieter die gesundheitlichen Folgen der Kündigung durch eine fachärztliche Bescheinigung anstatt durch die vorgelegte Bescheinigung des Psychoanalytikers nachweist.

Nach § 574 (1) 1 BGB kann der Mieter der Kündigung eines Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist.

Der BGH war der Auffassung, dass das Landgericht diese Härte nicht deswegen verneinen durfte, weil es sich bei den Ausführungen des Behandlers des Mieters nicht um (fach-)ärztliche Atteste handelte. Für eine solche Qualität bzw. Anforderung an den Vortrag des Mieters im Räumungsprozess gibt sowohl die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als auch die zukünftig zu erwartende Rechtsprechung keine Stütze.

Erforderlich ist, dass der Mieter für den Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels durch hinreichend substantiierten Prozessvortrag geltend machen muss, dass ihm schwerwiegende Gesundheitsgefahren drohen, sollte er die Wohnung räumen müssen. Ist ein solcher Tatsachenvortrag erfolgt, haben die Gerichte nach der ständigen Rechtsprechung des BGH regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe sich ein eigenes, genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im konkreten Einzelfall mit einem Umzug verbunden sind. Insbesondere haben die Tatsachengerichte zu kontrollieren, welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen voraussichtlich erreichen werden und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann.

Damit die Tatsachengerichte jedoch ein Sachverständigengutachten beauftragen, muss der Mieter zunächst seiner sogenannten „Substantiierungslast“ nachkommen. Hierbei handelt es sich um die Verpflichtung des Mieters, dem Gericht alle ihm möglichen Tatsachen vorzulegen, die das Recht des Mieters, hier das Recht auf den Widerspruch, plausibel machen. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH genügt der Mieter als medizinischer Laie seiner Substantiierungslast, wenn er unter Vorlage eines ausführlichen fachärztlichen Attests geltend macht, ihm sei ein Umzug wegen einer schweren Erkrankung nicht zuzumuten. Die Vorlage eines fachärztlichen Attests war bisher deswegen erforderlich, weil vom Mieter als medizinischem Laien über die Vorlage eines solchen Attests hinaus nicht verlangt werden könne, noch weitere, meist nur durch Gutachter zu liefernde Angaben zu den gesundheitlichen Folgen, zu deren Schwere und zu der Ernsthaftigkeit der zu befürchtenden gesundheitlichen Nachteile zu machen. Entgegen der Auffassung des hier befassten Landgerichts wollte der BGH damit jedoch nicht zum Ausdruck bringen, dass der Mieter einzig und allein durch die Vorlage eines fachärztlichen Attests seiner Substantiierungspflicht nachkommen könne.

Nach Auffassung des BGH besteht hierfür kein Anlass, weil weder das Zivilprozess-, noch das Mietrecht eine solche Qualität für den Widerspruch verlangen. Erforderlich ist vielmehr, dass der Mieter hinreichend konkret die Umstände vorträgt, die seinen Widerspruch begründen. Dies kann, wie der BGH nunmehr erläuterte (BGH a. a. O., Rn. 21), im Einzelfall auch durch eine ausführliche Stellungnahme eines bezogen auf das geltend gemachte Beschwerdebild medizinisch qualifizierten Behandlers erfolgen. Auch so eine Stellungnahme ist geeignet, den Sachvortrag des Mieters zu untermauern, auch wenn diese nicht von einem Facharzt erstellt wurde. Allerdings kommt es auf die konkreten Einzelfallumstände an, ob die vom Mieter vorgelegte Stellungnahme ausreichend ist, das Gericht zu veranlassen, ein medizinisches Gutachten über die Folgen der Kündigung für den Mieter einzuholen.

Da das Landgericht aus seiner Sicht folgerichtig die Qualität der Stellungnahme des Behandlers nicht hinterfragt hatte und auch kein Beweis erhoben wurde über die Frage, ob tatsächlich gesundheitliche Nachteile für den Mieter bei Räumung der Wohnung entstehen, musste der BGH die Sache zurückverweisen und das Landgericht zu weiterer Tatsachenfeststellung anhalten.

Folgen für die Praxis:
Für den Vermieter von Wohnraum gilt immer, besonderes Augenmerk auf die formellen und inhaltlichen Anforderungen an eine Kündigung zu stellen. Selbst wenn der Vermieter hierbei keinerlei Fehler gemacht hat, droht immer noch ein Widerspruch des Mieters wegen unzumutbarer Härte nach § 574 BGB.

Zunächst ist unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des BGH zu erkennen, dass der Widerspruch des Mieters nicht von allein und ohne Weiteres zu einer Fortsetzung des Mietverhältnisses führt. Vielmehr ist es erforderlich, dass der Mieter konkrete und belastbare Tatsachen vorträgt, die den Widerspruch stützen. Beruft sich der Mieter zum Beispiel auf gesundheitliche Nachteile durch die Kündigung und Räumung der Wohnung, so hat er dies regelmäßig durch ein ärztliches Attest nachzuweisen. Dabei reicht es nicht aus, dass das Attest von „gesundheitlichen Nachteilen“ spricht. Vielmehr müssen konkrete Details zum Krankheitsbild und zu den Folgen der Kündigung auf dieses Krankheitsbild gemacht werden.

In der hier besprochenen Entscheidung machte der Bundesgerichtshof jedoch deutlich, dass ein solches Attest nicht zwingend von einem Facharzt vorzulegen sei, sondern dass auch das Attest eines anderen medizinisch qualifizierten Behandlers ausreicht.


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